Blog

Sporadische Ausführlichkeiten…

Sprache und Diskriminierung: Darf Literatur verletzen?

Ein Gespräch mit dem Poeten Dean Ruddock über Sklaverei, Rassismus und die Bedeutung Schwarzer Literatur.

Mit „Resonanzen – Schwarzes Literaturfestival“ (#Resonanzen22), einer Kooperation zwischen den Ruhrfestspielen und der Schriftstellerin und politischen Aktivistin Sharon Dodua Otoo, wird ein Um-, Neu- und Weiterdenken von Perspektiven und Erfahrungen innerhalb der deutschsprachigen Literaturszene angestrebt. Entstanden ist ein Festival im Festival. Foto: China Hopson (www.china-hopson.com)

Im Tagesspiegel vom 21.10.2022
Ein Interview von Julian Mackenthun.

Resonanzen

Schwarzes Literaturfestival im Rahmen der Ruhrfestspiele

Mit „Resonanzen – Schwarzes Literaturfestival“ (#Resonanzen22), einer Kooperation zwischen den Ruhrfestspielen und der Schriftstellerin und politischen Aktivistin Sharon Dodua Otoo, wird ein Um-, Neu- und Weiterdenken von Perspektiven und Erfahrungen innerhalb der deutschsprachigen Literaturszene angestrebt. Entstanden ist ein Festival im Festival.

Fotos von China Hopson.

Weitere Informationen zu der Veranstaltung und den anderen Autor*innen sowie der Jury.

1. Platz beim Manuskriptwettbewerb des 19. Leipziger Hörspielsommers

(c) Caecilie Schneider

Das von Cäcilie Willkommen und mir produzierte Hörspiel „Vorschlag einer Struktur“ basierend auf dem gleichnamigen Text vom Kollektiv Gelbe Supp wurde mit dem ersten Preis des vierten Manuskriptwettbwerbes des 19.Leipziger Hörspielsommers ausgezeichnet!

Vielen Dank an das Kollektiv, für den Text – es hat uns viel Spaß gemacht, daran zu arbeiten.
Vielen Dank an unsere Schauspieler*innen Dascha Trautwein, Tahera Hoshemi und Krunoslav Sebrek.
Vielen Dank an Frederike Moormann und Fabian Kühlein für die künstlerische Betreuung des Projektes.
Vielen Dank an das Team vom Leipziger Hörspielsommer für diesen schönen ersten Hörspielsommer.
Gratulation auch an alle anderen!

Als nächstes läuft das Stück beim Berliner Hörspielfestival, auch online.

In Kategorie: Blog

Interview mit Rainer Schepper

Im Rahmen des Projektes TanzTekste on the road – „Ich möchte Meine wut verbergen“ interviewte ich neben anderen Rainer Schepper; Autor, Rezitator, Zeitzeuge des 2. Weltkriegs, aktiver Denker und vor allem ein belesener Gesprächspartner. Wir sprachen über Sprache und ihre Bedeutung.

Das vollständige Interview gibt es hier.

Info-Text zur Performance:
Was bewirkt Sprache – als Satz auf den Ohren, Wort in den Augen, Stimme auf der Haut, unter den Sohlen, bis in die Knochen?

„Ich möchte Meine wut verbergen“ ist das Ergebnis eines Interviews des Künstler*innen-Kollektivs „TanzPoeten“ mit Menschen aus dem Münsterland und eine Antwort auf die Frage: Was ist der Unterschied zwischen Wahrheit und Ehrlichkeit? Das Ergebnis ist eine digitale Video-, Sound- und Tanzinszenierung, eine Collage aus Interviews, Rap, Musik, Sound und Bewegung.

Eine Produktion des Kollektivs Bettina Henningsen, Dean Ruddock, Joachim Goldschmidt.

Mit: Tänzer*innen / Claudia Iglesias Ungo, Solomon Quaynoo, Musiker/Komposition / Benjamin Kövener (Schlagzeug, Soundcollage), Ruslan Maximovski (Akkordeon), Tanzvideoregie / Nelly Köster und Videodesign / Philipp Wachowitz

Gefördert durch die LWL Kulturstiftung, dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und der Kulturförderung Kreis Steinfurt

Premiere der Performance, in der das Interview verarbeitet wurde, war am 23.04.20: www.burg-huelshoff.de/programm/kalender/denkfabrik

Glaskörperflocken

(c) Philipp Wachowitz

„Was wir tagtäglich wahrnehmen, nehmen wir wiederholt war.
Was wir wiederholt wahrnehmen, studieren wir ein.
Wiederholung ist der Schlüssel zur Gewohnheit.
Was wir gewohnt sind, nehmen wir als gewöhnlich war.“

Viel zu oft geraten Diskussionen aus dem Ruder,
weil weder Atmosphäre noch Zeitpunkt stimmen.
Hier wurde versucht, es besser zu machen und einen Raum der Begegnung
– einen Resonanzraum – zu schaffen.
Angeregt durch eine Lese-Performance und ein Hörstück sollte bei einer Tasse Tee gemeinsam über (Alltags-)rassismus nachgedacht werden.

Rückblick auf die Wortwiese 2019

Video von Philipp Wachowitz

Jugendstil-NRW lud mich im Spätsommer 2019 mit einer Collagen- und BlackOut-Station ein, Teil der WortWiese zu sein. Einen Eindruck von der Atmosphäre vermittelt der obige Film von Philipp Wachowitz, mit Musik die in Zusammenarbeit mit Kira Hummen in den Tagen im Westpark entstand. Jugendstil schreibt:

„An mehreren Tagen im August und September war die WortWiese im Park, auf dem Weltkindertagsfest und auf der Museumsnacht zu erleben. Bepackt mit allem, was das Literaturfest benötigte, haben wir uns auf die Räder geschwungen und die verschiedenen Orte angesteuert. Wir haben unser literarisches Lager mitten in der Alltagswelt der Kinder und Jugendlichen aufgeschlagen und mit allen, die Lust hatten, gelesen, getextet und gestaltet.

Es wurden Hashtags für eine bessere Welt verfasst, Wunschgeschichten auf der Schreibmaschine getippt, Comics am iPad entwickelt, Kulissen für Helden geknetet, Songs geschrieben oder Bücher angeschaut, in Hängematten, auf der Wiese oder im Lesezelt. Oder man setzte sich in die Rikscha, ließ sich durch den Park fahren und lauschte dabei den Hörgeschichten…“

Stimmen gesucht

Für das Projekt „Tanzpoeten unterwegs“ im Rahmen einer Denkfabrik des Centre for Literature (ehemals Burg Hülshoff) bei Münster werden Stimmen gesucht, die in einem Interview ihren Alltag und ihre Wahrnehmung auf Gesellschaft schildern.
Fokus des Interviews ist der Umgang mit Sprache im beruflichen und privaten Alltag, sowie die Wahrnehmung des gesellschaftlichen Miteinanders. Die Interviews dienen einerseits als Recherchegrundlage, andererseits sollen sie ggf. künstlerisch weiterverwertet werden, z. B. als verfremdeter Einspieler in einer Tanzperformance.
Die Nennung das Namens ist optional, grundsätzlich sollen die Stimmen und Aussagen aber anonym verwendet werden, es sollen möglichst unterschiedliche Personen und Statements zustande kommen. Ein Wiederruf ist jederzeit möglich.
Die Interviews werden geführt von Dean Ruddock, Autor, Spoken Word Artist
und Medienkünstler.

„Tanzpoeten unterwegs“ ist eine Produktion von ProArtist


Haben Sie Interesse oder Fragen?
Dann schreiben Sie eine Mail an post@deanruddock.de

Erfahrungen mit Alltagsrassismus gesucht

7.02. – 9.02., Steubenstraße 8, Weimar.

Für mein Semesterprojekt an der Bauhaus-Universität im experimentellen Radio benötige ich euch und eure Erfahrungen.
In meiner Arbeit „Glaskörperflocken“ geht es mir darum, Unsichtbarkeit, Häufigkeit, Alltäglichkeit und nicht zuletzt auch Schmerzhaftigkeit von Alltagsrassismus aufzuzeigen.
Hierfür sammle ich kurze, schriftliche Statements – im Stile eines Tweets oder Facebook-Posts – in denen Betroffene anonym eine Diskriminierungserfahrung beschreiben und teilen. Im Fokus stehen hierbei vor allem Erfahrungen die innerhalb der eigenen Blase in Arbeit und Freizeit, oder in einem als links definierten, aber mehrheitlich weißen Umfeld gemacht worden sind.

Die Erfahrungen sollen im Rahmen der Winterschau vom 7.02. – 9.02.20 als Teil einer
– von mir abgehaltenen – performativen Lesung in Weimar ausgestellt werden.
Insgesamt soll eine Art Resonanzraum entstehen, der sich ausschließlich den Themenkomplexen Normativität und Alltagsrassismus widmet. Bei Interesse halte ich euch gerne auf dem Laufenden.

Wer hierzu bereit ist, kann mir einfach eine kurze Mail mit der Erfahrung bis zum 1.2. schreiben

post@deanruddock.de
www.deanruddock.de

winterwerkschau.bau-ha.us/

Impuls-Statement zum Panel „Poetische Bildung“ auf der Tagung des Netzwerk Lyrik e. V.

Es hat fast 10 Jahre gedauert, bis ich den Weg in die Lyrik-Szene gefunden habe. Dort, wo ich aufgewachsen bin, gibt es keine Literaturhäuser, keine Veranstaltungen von lyrix.
Ein Großteil meiner künstlerischen Sozialisation fand auf Poetry Slams statt. In einer Szene, mit der ich auch immer ein wenig gefremdelt habe, man sich aber auch bemühte mich willkommen zu heißen – nicht alle teilen diese Erfahrung, dies sei nur kurz erwähnt.
Mir wurde zu Anfang und auch zwischendurch signalisiert, dass ich eine Bereicherung für das Format sei. Es hat 10 Jahre gedauert, bis mir jemand aus der Lyrik-Szene sagte, ich könne eine Bereicherung für diese Szene sein und mir das Gefühl gab, am richtigen Ort zu sein. Die Slam-Szene hat ihre ganz eigenen Dynamiken und Probleme, aber um die soll es im Weiteren nur am Rande – ich wurde gebeten, den „Finger in die Wunde zu legen“ und über den deutschen Lyrik-Betrieb sprechen:

Ich sehe eine abschreckend hermetische, überschaubare und elitär wirkende Szene, dessen spaßbefreites und hochkulturelles Gehabe vielleicht ihr größtes Problem ist, bei dem Versuch (junge) Menschen aus Milieus jenseits des weißen Bürgertums zu erreichen.
Eine Freundin war vor einiger Zeit in der Schreibwerkstatt einer namenhaften Lyrikerin. Nach dem eine Teilnehmerin ihren Text vorlas, bekam sie von der Werkstattleiterin das Feedback:
„Das ist ja schon eher ein Poetry Slam jetzt…“
Dieser Satz ist meiner Meinung nach nicht nur sachlich falsch;
Poetry Slam ist ein Format und kein Genre, auch wenn sich über die Zeit im deutschsprachigen Raum gewissen Konventionen gebildet haben – dies aber vor allem, weil man den Kabarettisten und Storytellern (ich verzichte an dieser bewusst auf eine gegenderte Ausdrucksform) das Feld überlies, sich nörgelnd auf Veranstaltung zurückzog, die hauptsächlich von Fachpublikum, Angehörigen und Freund*innen besucht werden, seltener aber von Außenstehenden, die einfach nur Unterhaltung suchen. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Auf Lyrik-Veranstaltungen sind meiner Erfahrung nach vor allem Menschen, die Lyrik schreiben, übersetzen, verlegen usw.
Ein etablierter Übersetzer und Lyriker sagte bei einer Veranstaltung im Haus für Poesie Anfang des Jahres, dass es beim privaten Lesen von Gedichten manchmal nur wenige Zeilen in einem Gedicht sind, die ihn berühren, weil er den Rest vielleicht nicht versteht. Als Übersetzer jedoch ist es seine Aufgabe, den Text vollständig zu durchdringen, weswegen er zwischen dem privaten und dem beruflichen Rezeptionsmodus unterschied. Moment mal – was sagte er da?
Es irritierte mich, dass ich plötzlich eine Erleichterung verspürte:
Es ist in Ordnung, Gedichten nicht immer folgen zu können – wenn selbst er solche Momente hat, dann bin vielleicht auch ich nicht zu dumm, zu unbelesen, zu ungebildet.
Das war bis dato aber nicht das Gefühl, was mir dieser Rahmen gab, in dem das Scheitern am Verständnis eines Textes praktisch gar nicht thematisiert wird. Weder auf der Bühne noch beim Weißwein danach. Um es mit den Worten einer studierten, dichtenden Kollegin mit Abschluss in Politik und Literatur zu sagen: „Manchmal habe ich das Gefühl, diese Veranstaltungen wollen, dass ich mich dumm fühle.“
Auch ich habe studiert. Auch ich habe manchmal dieses Gefühl.
Wie geht es wohl anderen Menschen damit? Menschen die nicht studiert haben? Menschen die nicht selbst schreiben? Ich glaube, die dicksten Mauern in unserer Gesellschaft sind aus Glas. Die tiefsten Gräben zwischen uns sind habitueller Natur.

Laut Aussage eines Teilnehmers, waren beim letzten Treffen junger Autor*innen in Berlin (immer dieses Berlin) etwa vier von 20 Menschen, die zum ersten Mal etwas irgendwo hingeschickt haben und ihr Glück kaum fassen konnten, dass sich Leute für ihre Texte interessieren. Die meisten anderen kannten sich seiner Beobachtung nach schon von anderen Veranstaltungen.  Der Klüngel beginnt schon früh.
Ein Teil der „Inzestiösität“ der deutschen Lyrik-Szene sehe ich auch darin begründet, dass statt jungen Leuten einfach eine freie Plattform zu bieten, sie zu ermächtigen, sich auszuprobieren, wird im Vorfeld ausgesiebt durch unterschiedliche Hürden:
Keine Schreibwerkstatt oder Lesung ohne vorher Text und eine Biografie (idealerweise voller Preise) einzuschicken – als Kind einer alleinerziehenden Krankenschwester, aufgewachsen im eher ländlichen Paderborn, fehlte mir die Bezugsperson, die so etwas mit mir hätte vorbereiten können, aber auch dem Alter entsprechend das Selbstbewusstsein wie vermutlich auch anderen Jugendlichen.
Eine Biografie impliziert die Frage nach erreichten Preisen, Stipendien, Veröffentlichungen. Eine Biografie impliziert „jemand zu sein“. Wer bin ich mit 17? Mit 21? Wer bin ich jetzt, wenn ich noch keinen Preis gewonnen habe? Nicht in Leipzig oder Hildesheim studiert habe? Wer bin ich, wenn ich niemanden kenne? Wer bin ich, wenn mich niemand kennt? Wer bin ich, wenn ich in einer Gesellschaft lebe, die systematisches mein Selbstbewusstsein zerstört – wegen meines Aussehens, Geschlecht, meiner sexuellen Identität, meines wirtschaftlichen, ethnischen, religiösen und sozialen Hintergrundes?

Bei einem regulären Poetry Slam kann i. d. R. (d. h. auf dem Papier) jede Person teilnehmen, die einen selbstgeschriebenen Text dabei und sich rechtzeitig angemeldet hat. Mir geht es jetzt nicht darum, ein Loblied auf das Poetry-Slam-Format anzustimmen. Vielmehr möchte ich dazu anregen, sich inspirieren zu lassen:
Aber statt von der Poetry-Slam-Szene zu lernen, sie zu bereichern oder sich bereichern zu lassen, dass Format durch Teilnahme zu verändern, wird auf die Szene hinabgeschaut und insgeheim oder ganz offen geneidet, wenn es um den Zulauf in Workshops und Veranstaltungen geht. Auf Buchmessen und Lesungen, bei Einsendungen für Wettbewerbe und Magazine überlege ich jedes Mal lange, ob ich erwähne, wo und wie ich künstlerisch sozialisiert wurde. Zu oft musste ich mich rechtfertigen, verteidigen, skeptische Kommentare und Augenrollen über mich ergehen lassen, wenn ich mich „outete“.
An anderer Stelle habe ich mitbekommen, wie gefragt wurde, ob eine Breiten- oder Frühförderung nicht zu einer Art „verwässerten Qualität“ der Lyrik führen würde.

Ich wurde gebeten, diese Plattform zu nutzen, um Forderungen zu stellen:

Ich fordere eine kritische Reflexion der eigenen institutionalisierten Prozesse in Bezug auf Zugänglichkeit zu Wettbewerben, Förderungen, Werkstätten, Veranstaltungen etc.

Ich fordere darauf aufbauend eine aktive Öffnung gegenüber in der Lyrik unterrepräsentierten Gruppen; Menschen mit Behinderungen, mit Migrationsgeschichte. Menschen, deren sozio-ökonomische Herkunftsverhältnisse sich von denen unterschieden, die hier den Durchschnitt bilden.
Um diese Aufzählung abzukürzen: Ich fordere eine aktive Öffnung gegenüber allen, die nicht hier sind.

Ich fordere eine bessere Repräsentation derer, die nicht der Konstruktion Mehrheitsgesellschaft entsprechen durch wirklich offene Bühnen und Schreibwerkstätten ohne Bewerbungsverfahren.

Ich fordere weiterhin einen neuen, differenzierten Blick auf Poetry Slam und andere alternative Literaturformate. Denn solange sich die Veranstaltungen, als Schaufenster des Betriebs nicht ändern, wird auch das Publikum nicht wachsen und werden sich auch keine neuen Stimmen auf die Bühnen trauen.

Solange  Zugänglichkeit nicht über einige Leuchtturmprojekte in Großstädten und bundesweite Wettbewerbe für wenige hinausgeht, muss sich niemand wundern, wenn zeitgenössische Lyrik eine im besten wie im schlechtesten Sinne familiäre Veranstaltung ist, bei der man doch immer wieder den selben Menschen im Publikum wie auch auf der Bühne begegnet und zeitgenössische Gedichte nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung rezipiert werden.
Diversität auf der Bühne, schafft Diversität im Publikum.

Halle, 23.11.2019